Markus Vater

Fragt man ein Kind: Was ist Kunst?, so würde es vermutlich antworten: Eine Zeichnung! Ein Bild! Kaum der Sprache mächtig, beginnt der wachsende Mensch zunächst aus der Bewegung heraus zu zeichnen und später, seinen Sitz im Leben darstellend, zu umkreisen und zu bebildern. Ein Punkt mit einem Kreis: Das bin ich. Kosmisch wächst die ganze Welt hinzu. Phantasie reichert die Wahrnehmung an, Sachverhalte sind einfach und doch komplex: Mit Röntgenblick gelingen Durchsichten in Häuser, Landschaften und ihre Bewohner. Alles ist gleichzeitig.

Der in Düsseldorf geborene und in Londonlebende und arbeitende Künstler Markus Vater hat diesen Pfad der tiefen existenziellen Verwurzelung von Kunst als angewandtes Erleben, Nachdenken und Forschen in und an der Welt nie verlassen und seine Ausdrucksformen immer weiter verfeinert, was seiner zeitlosen künstlerischen Haltung eine tiefe Relevanz verleiht. Er ist ein Bildphilosoph mit dem Schalk im Nacken. Leichte Verschiebungen schärfen die Sinne; das Sein wird bestaunt, bearbeitet und neu strukturiert, wobei emotionale Bereiche nicht ausgeblendet sind. Seine Kunst darf unmittelbar berühren. Es begegnet dem Betrachter keine abgehobene Position aus dem kunsttheoretischen Elfenbeinturm, denn der Einstieg in diese Werke gelingt oft kinderleicht, im nächsten Schritt gilt es aber die Tiefendimensionen zu erkunden. Längeres Hinsehen und Nachdenken wird belohnt, es werden gewichtige Fragen auf nicht naheliegende Weisen gestellt, herausgearbeitet und manchmal auch beantwortet. Der Künstler überrascht uns und sich selbst.

Die künstlerischen Basismedien Zeichnung oder Malerei nutzt Markus Vater weiter, so wie es die Tradition will, so wie der Künstler atmet oder geht. Das Repertoire ist nahezu unerschöpflich. Die Zeichnungen sind sein künstlerisches Umlaufvermögen, sie entstehen im Arbeitsspeicher. In stilisierten Schriftbildern stellt Vater der Figuration ein poetisches Korrelat zur Seite. Textfragmente, Subtitles oder Fragen auf Englisch und Deutsch erläutern und entfremden das Bild zugleich. Es ist nicht die private Handschrift des Künstlers, sie erscheint vielmehr in ihrer gebundenen Regelmäßigkeit wie eine generations- und geschlechtsneutrale hier weiche, dort harte visuelle analoge Erzählstimme und entwickelt unterschiedliche lyrische Ichs. Eine konzeptuelle Dimension des Wechselspiels zwischen Bild und Schrift, Schrift als Teil vom Bild, von Text, Textur und Textualität, die im 20. Jahrhundert von Duchamp bis Broodthaers etabliert wurde, denkt Markus Vater im Subtext bereits mit. Der Minimalist Frank Stella prägte den Ausspruch: What you see is what you see. Vater hält ihm ergänzend seinen Ausstellungstitel entgegen: What you see is not what you look at. Es bleibt mehrdimensional.

Markus Vater zeichnet virtuos das Notwendige, er arbeitet schnell und unmittelbar, Animationsfilme dokumentieren die Choreografie seiner Linie, die von klaren Entscheidungen und Durchlässigkeiten lebt. Die Zeichnungen leben von sicher gesetzten affenporigen Konturen ohne viel grafische Verdichtung oder Schraffur. Zarte Aquarellflächen fassen Bereiche zusammen. Auf ein Blatt kondensiert wirken diese wie Bildpoeme, grafische Essays. Man fühlt sich an intelligente Cartoons von Sempé und Bilderbögen des 19. Jahrhunderts von Wilhelm Busch erinnert. Markus Vater führt seinen nicht versiegenden Vorrat an Bildideen, Beobachtungen und Verhältnisstudien zur Welt vor. Er zeigt Tiere, Menschen und Sensationen, auch Dinge werden zu Lebewesen, äußern sich, zeigen Gesicht und demonstrieren Haltung. Die Größenverhältnisse sind fluide: Mikroorganisches schwingt sich zu Größe auf, Riesiges schrumpft. Sachen treffen sich surreal auf dafür ungeeigneten Oberflächen, sie können vielgestaltig sein, so wie bei René Magritte Fenster im Fenster als semantisch-syntaktisches Geflecht auftauchen und durchschaubar gemacht werden und unsere Realität als mindestens doppelbödig und doppeldeutig erscheinen lassen. Metamorphose und Übergang sind die Regel. Der Bildvorrat von Kunst vieler Epochen und zahlreicher Genres, aber auch von Filmen, blitzt immer wieder auf, dennoch bleibt Vaters Blickwinkel unbelastet von deren Schwere und es gelingt ihm eine Sublimation in sein Werk hinein. Er schafft Einfachheit jenseits von Eindimensionalität. Die Zeichnungen zeigen auch ihre Rückseite, wenn Markus Vater sie als bewegliches buntes Mobile schwerelos in den Raum hängt, wo sie sich um sich selbst und die Betrachter drehen.

Markus Vaters Protagonisten sind schlichte Typen, mal männlich, mal weiblich. Eher Knaben als Männer, eher Mädchen als Frauen. Es sind häufig Bildparabeln und Kalendergeschichten. Allesamt eingebettet in ein Bezugssystem von Dingen und Figuren. In Schattenrissen verschmelzen zuletzt alle Formen zu einem gemeinsamen Gewächs. Dabei lässt sich Vater in seinen Ausdrucksformen nicht festlegen; er arbeitet ebenso mit seinem Körper, an inszenierten Fotografien und Kleinplastischem und Kombinationen. Regelmäßig veröffentlicht er – auch unabhängig im Eigenvertrieb – Postkartensammlungen und Künstlerbücher und dreht Trickfilme, die Entwicklungen seiner Bildideen veranschaulichen und die er über Websites und soziale Netzwerke lanciert.

Im Gegensatz zu den recht spontan entstehenden Zeichnungen sind die Gemälde Markus Vaters oft großformatig bis objekthaft raumbestimmend. Hier spielt die Schrift eine untergeordnete Rolle. Die Malerei wirkt zeitlos, manchmal blitzt eine Palette von Malern des 19. Jahrhunderts auf, um dann wieder klar ins heute geholt zu werden. Vater wird als Kind der Generation Photoshop durchaus erkennbar, denn er denkt vielschichtig in Ebenen und Folien, die er am Ende immer über eine Idee zu verschmelzen weiß. Der Blick ist in der Technik an alten und neueren Meistern geschult (Good Morning Mr. Rothko), Reminiszenzen scheinen auf. Der Duktus ist sichtbar. Lasierend und durchscheinend hier, deckend und pastos dort. Der Mensch auch hier meist zeitlos: Kleidung, Mode oder technisches Gerät verrät kaum seine Gegenwart – Sein und Schein im Wechselspiel.

Zugleich werden die Bilder im Raum platziert und als gestaltete Realität in ihrer Materialität und ihrem Format gesetzt, um sie als künstlich und künstlerisch zu markieren. Dass Markus Vater seit vielen Jahren in London lebt und vorwiegend nicht mehr in Deutschland arbeitet ist spürbar: Die relative Härte deutscher Malerei, die nicht immer eine Garantie für geistige Tiefe gibt, ist bei ihm nicht zu beobachten. Das vordergründig Unscheinbare und farbig Dezente, sogar Geschmackvolle, auch das verminte Gebiet der Aquarellblätter kann er ungestraft betreten, den Matsch und die große Geste der Expression überlässt er anderen.

Die Welt, die Markus Vater beschreibt, kann groteske Züge annehmen, manches mag spaßig und gar lächerlich erscheinen, aber seine Statements sind nie zynisch oder verbittert. Eher färbten schwarz eingefärbter Humor und der spitze Tonfall der englischen Meister, z. B. Monty Python, auf die Bildideen ab. Unabhängig vertritt er Botschaften und Meinungen jenseits politischer Agendas und plädiert für einen Blick in die Tiefe, vielleicht direkt in die Seele. Rhizomartige Verflechtungen von allem mit allem liegen frei. Das Staunen bleibt überlebenswichtiges Grundprinzip für Erkenntnisgewinn und liefert Zuversicht und Variantenreichtum unbekannter Blickwinkel im x-ten Jahr des Todes der Malerei. Schönheit ist der Glanz des Wahren, sagte einst Joseph Beuys. Dieser Glanz umspielt die Werke von Markus Vater, und das Wahre brauchen wir jetzt mehr denn je. Die Stoffe gehen ihm noch lange nicht aus.

Wolfgang Neumann

Brigitta Loch – Gesichter