Karl-Heinz Bogner

Karl-Heinz Bogner
Raumarchiv
Zeichnungen und Objekte

Alle architektonischen Planungen müssen letztlich immer Utopien bleiben. Die im Vorfeld des Baues planenden Entwerfer und die denselben später tatsächlichen Bewohnenden sind in der Regel nicht mit dem Leben, Denken und den Empfindungen des je Anderen vertraut. Sie sprechen einfach nicht dieselbe Sprache. Der Mythos einer solchen unausweichlichen Sprachverwirrung zieht sich – mindestens für das Architekturwesen exemplarisch – von dem zum Scheitern verurteilten biblischen Turmbauprojekt zu Babel bis hin zu den Typologien von wiederholt katastrophischen Innenräumen etwa in den literarischen Werken Thomas Bernhards (vgl. u.a. Amras, 1964; Das Kalkwerk, 1970; Korrektur, 1975), in denen angesichts der Menge unbewältigter Erinnerungen die verbale Kommunikation menschlicher Individuen auf andere Weise zur Gänze unmöglich wird. Versuche gar, wie sie noch der französische Bautheoretiker der Revolutionszeit Étienne-Louis Boullée (1728–1799) unternommen hatte, um eine – wie er meinte – „sprechende Architektur“ im eigentlichen Sinne errichten zu wollen, erwiesen sich schon in Anbetracht ihrer megalomanischen Ausmaße ohnehin von vornherein als rundheraus unbaubar und damit folglich unbewohnbar.

Die Zeichnungen und Objekte von Karl-Heinz Bogner dagegen zeigen sich als durch und durch von ihrem Urheber bewohnt. Sie geben gewissermaßen (auto)biografische Architekturen als Linienverläufe und als hochkomplexe Konstrukte wider, die freilich ebensowenig baulich umgesetzt werden könnten, da sie – wie es allen persönlichen Biografien üblicherweise eigen ist – stets vergänglichen Ideengebäuden und ambivalent umwertbaren Erinnerungsgebilden gleichen. Der Zeichner aber belebt demnach fortan seinen eigenen Plan, und unversehens überlagern sich gedachte Utopien und festgestellte Realitäten. Wenn auch vielleicht nicht bis zur vollständigen Übereinstimmung nehmen die Objekte des Künstlers – über die nur zweidimensionale Fläche hinaus – expansiv mehr und mehr Volumen und Gestalt und damit auch Persönlichkeit an, um sich in den Raum und in die Zeit gleichermaßen weiter auszudehnen.

Statt also real gebauter Archivräume – als physisch vorhandene Orte kollektiv gesammelter Erinnerung – entwickelt Karl-Heinz Bogner so imaginative „Raumarchive“ und „biografische Stätten“, wie er sie nennt. Zwischen zunehmender Verdichtung und Auflösung des in vielerlei Abstufungen ausdifferenzierten Lineamentes, der nuancenreich eingesetzten Farbigkeiten, von landschaftlicher Topografie einerseits und urbanen Stadtarealen andererseits, ergeben sich jene Felder- und Strukturbildungen, die wie eine Übertragung zutiefst individueller Lebensspuren in ein allgemein gültiges Koordinatensystem zeichnerisch vorgenommener Ordnungen und Verortungen anzumuten verstehen.

Die materialen Objekte Karl-Heinz Bogners verselbständigen sich in der Folge zu sozusagen „gebauten Zeichnungen“ (KHB), die ihre Satelliten in den Umgebungsraum auszubreiten anschicken. Umgekehrt erscheinen die kleineren Formate wiederum so, als ob sie aus einem anderen Zusammenhang genommen – wie beispielsweise eben aus den größerformatigen Blättern – optisch näher herangezoomt würden. Das Verhältnis von Nähe und Distanz verändert sich in der Auseinandersetzung mit diesen Arbeiten insoweit ständig, als die Modelle eine relative Begehbarkeit der räumlichen Objekte suggerieren, die Zeichnungen demgegenüber den Betrachter jedoch auf einen gewissen Abstand zu halten wissen, der für eine hinreichende Ent-Zifferung des zeichnerisch-geschriebenen Grafischen geboten scheint.

Grundsätzlich aber entziehen sich die Ideenarchitekturen von Karl-Heinz Bogner augenscheinlich jedweder funktionalen Zuweisung. Allein schon erste Versuche, seine Raumschichtungen, variablen Konstruktionen und Gedankenbauten in letzter logischer Konsequenz auch nur virtuell abschreiten zu wollen, sind jäh zum Scheitern verurteilt. Verschiedene Ebenen, Plattformen führen auf horizontale Barrieren und Blickverstellungen zu, fragile Linienläufe treffen auf Flächenkompartimente, schier schwerelos Schwebendes auf blockhafte Massive. Raumverkapselungen entziehen sich dann vollends dem Betrachter, der sich nun seinerseits gezwungen sieht, beständig den Standpunkt vor den Objekten zu verändern, um neue Perspektiven, Einsichten, Durchblicke in – aus – unter – und über die räumlich so durchdrungenen Ausbildungen zu gewinnen. Der noch kaum in der eigenen Vorstellungskraft begehbare Raum wirft den Betrachter so schließlich ganz auf den eigenen menschlichen Körper zurück, der sich nun selbst – und im besten Sinn eigenmächtig – Raum (ver)schaffen muss. Die auf diese Weise entstandenen Unwägbarkeiten – vielleicht besser Unwegbarkeiten – behaupten damit nicht nur die Autonomie des Objektes selbst, sondern führen durch das visuelle wie zugleich physische Erfassen des orthogonal baulichen Formkörpers insgesamt das architektorale in ein skulpturales Gefüge über. Die Architektur wird – Linie um Linie – Körper und damit sich selbst.

Clemens Ottnad