Konsortium

KONSORTIUM
TRIALOG
KUNSTVEREIN LUDWIGSBURG

Die Zahl 3 ist in der Ausstellung der Künstlergruppe Konsortium allgegenwärtig. Nicht nur der Titel „Trialog“ verweist auf eine Dreier-Konstellation, sondern auch die drei kreuzförmigen Wandeinbauten, die den Ausstellungsraum dominieren, sowie die dreigeteilten Leinwände und die drei modernistischen Autoren, auf die sich eine Videoarbeit bezieht und deren Bücher in einer Vitrine ausgelegt sind. Die Rede ist von dem Architekten Le Corbusier, dem Kunstkritiker Clive Bell und dem Psychologen Sigmund Freud. Hinzu kommt natürlich, dass Konsortium aus den drei Künstlern Lars Breuer, Sebastian Freytag und Guido Münch besteht. Die Zahl 3 gilt seit der Antike als ein Symbol für Geschlossenheit und Einheit. Dies lässt sich auch auf das menschliche Miteinander übertragen. Zwar gibt es das Sprichwort ‚Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte‘, allerdings erlaubt eine Dreier-Konstellation bei einem Dialog auf Augenhöhe, das Erlangen einer absoluten Mehrheit, da zwei Stimmen den Ausschlag für eine Entscheidung geben können. Die Werke von Konsortium erwecken den Eindruck, dass eine geschlossene Dreiheit am Werke ist. Darauf deuten zum Beispiel die drei Wandskulpturen hin. Während die Kreuzform einheitlich ist, unterscheiden sich der Farbton und der Farbauftrag beträchtlich voneinander. Das matt-blau gestrichene Kreuz, das grünlich-lackierte und das mit Pinselspuren versehe gold-metallische Wandelement sind jeweils einem der Künstler zuzuordnen. Ein ähnliches Verfahren wählt das Trio mit Blick auf die in ihren Textarbeiten eingesetzten Schriften: jeder der drei Künstler arbeitet mit einer spezifischen Schrifttype, die wie eine Signatur fungiert. Handelt es sich um gemeinsame Schriftwerke, so wird – wie in der Ludwigsburger Ausstellung – die pseudofuturistische Eurostile verwendet. Beide Verfahrensweisen ermöglichen, dass die im Kollektiv arbeitenden Künstler auch als individuelle Autoren präsent sind. Die ‚Verkörperung‘ des Einzelnen im skulpturalen Element und die Fusion in einer gemeinsamen Typo sind zwei methodische Ansätze, die widerspiegeln, dass Konsortium einen konstanten Trialog, also ein Dreiergespräch sucht und pflegt. Ihre Werke und Rauminstallationen sind wohl durchdachte Kommentare auf Fragen nach der künstlerischen Autorschaft und dem Arbeiten im Kollektiv.
Ein weiteres Charakteristikum der Künstlergruppe ist das Entwickeln komplexer Bezugssysteme. Die Referenzen beziehen sich zum einen auf die Moderne als folgenreiche und strittige Epoche; zum anderen lassen sich zahlreiche kunsthistorische Anspielungen ausmachen; zum dritten verwenden die Künstler Rückgriffe auf bereits existierende Werke ihrer Zusammenarbeit. So sind die Wandskulpturen und die beiden Leinwände aus vorherigen Projekten entnommen und im Kunstverein Ludwigsburg neu kontextualisiert worden. Dabei legen die Künstler besonderes Augenmerk auf das Arbeiten mit den räumlichen Gegebenheiten, vor allem mit der Architektur des Ausstellungsraums. Die Wandskulpturen wurden diagonal in den Raum positioniert, sie strukturieren
diesen und damit die Bewegung der Betrachter:innen. Während die Dreier-Abfolge der Skulpturen mit den drei Unterzügen zwischen den Lichtschächten korrespondiert, wird die langgestreckte Raumwirkung von den Einbauten jäh unterbrochen. Der Raum verdichtet sich, wird unübersichtlich. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn die Besucher:innen die weiteren Ausstellungskomponenten entdecken. Die beiden Leinwände und die beiden Textarbeiten sind nur von wenigen Standpunkten aus vollumfänglich rezipierbar, in der Regel ist die freie Sicht darauf verstellt. Dennoch wird beim Erkunden deutlich, dass sie wie Klammern der Präsentation fungieren. Die Leinwände setzen Akzente an den Längsseiten, die Schriftzüge an den Stirnwänden. Ziel dieser präzisen Anordnung der Ausstellungselemente ist die Aktivierung der räumlichen Wahrnehmung der Betrachter:innen, die bestenfalls nicht nur unbewusst greift, sondern unmittelbar erfahren wird. Die Rauminszenierung stellt Körper wie Geist vor ständig wechselnde Herausforderungen. Dabei sind die physische Reaktion und auf mentaler Ebene die Assoziation tragende Strategien der Künstlergruppe. Dies wird auch von den verwirrenden Spiegelungs-Effekten befördert. Die Leinwände sind motivisch identisch, in der Farbgebung jedoch umgekehrt. Die Triptychen – die eine geometrische, für Architekturen der 1950er/1960er-Jahre typische Fassadenstruktur, daneben eine militärische Parade und zudem Blätter in Nahaufnahme zeigen – wurden einmal schwarz auf weiß gedruckt, das andere Mal weiß auf schwarz. Ein ähnliches Vexierspiel treiben die Textarbeiten. Der Begriff „Zukunft“, der am Ende des Raumes prangt, ist vertikal gespiegelt, wohingegen das Wort „Illusion“ wie auf einer spiegelnden Wasseroberfläche zu lesen ist. Die „Illusion“ schwebt über den Betrachter:innen, sobald sich diese aus dem Ausstellungsraum herausbewegen – als ob sich die Zukunft in eine Illusion gewandelt hat, oder war sie eventuell stets Illusion? „Zukunft“ wie „Illusion“ sind Teil des Buchtitels von Sigmund Freud. Seine Schrift „Zukunft einer Illusion“ von 1927 erörtert die psychologischen Gründe für Religiosität. Zudem können beide Termini als zentrale Begriffe der Moderne gelten. Als solche sind sie für Konsortium von Interesse, da die intensive Auseinandersetzung mit den Theoremen, Visionen und der Ästhetik der Moderne ein Gründungsimpuls des Kollektivs war. Seither bearbeiten die drei Künstler Themen der Moderne und Postmoderne. Das Zitieren ist dabei eine häufig gewählte Praxis, allerdings stets aus heutiger und damit distanzierter Sicht. Die Verweise werden entfremdet, dekontextualisiert und können dadurch neu betrachtet und bewertet werden. Die kreuzförmigen Wandskulpturen etwa erinnern an die Grundrisse der Hochhäuser von Le Corbusier. Der Begründer des Brutalismus, in dessen Tradition der Ausstellungsraum des Kunstvereins gestellt werden kann, und der Förderer einer Standardisierung des Wohnens revolutionierte die Architektur in den 1930er- bis 1960er-Jahren. Die von ihm konzipierten Räume etablierten ein neues, deutlich auf den modernen und damit zukünftigen Menschen ausgerichtetes Raumgefühl, das in seiner Klarheit und Reduktion auch heutige Neubauten prägt. Zugleich ist Le Corbusier aufgrund seiner Sympathie für den Faschismus umstritten. Eine solche Ambivalenz lässt sich in zahlreichen Figuren und Anschauungen der Moderne ausmachen. Die Motive der beiden Leinwände vermitteln einen vergleichbaren Spannungszustand: hier treffen Natur und Kultur, (militärische bzw. geometrische) Ordnung und Zufall aufeinander. Das Zusammenfügen unterschiedlicher Systeme ist auch Grundlage der präsentierten Videoarbeit. Die Text-Sequenzen, bei denen es sich um Zitate von Sigmund Freud, Le Corbusier und Clive Bell handelt, verweben sich mit den filmischen Aufnahmen, welche die drei Künstler zeigen, zu einem neuartigen Geflecht – welchen Strang die einzelne Besucherin/der einzelne Besucher für seine Annäherung an diese Arbeit, aber auch an die Gesamtinstallation von Konsortium wählt und verfolgt, ist individuell bedingt. Hier kommt eine Größe ins Spiel, nämlich die Betrachterin/ der Betrachter, der im modernistischen Kunstbegriff wenig bis gar keine Autonomie zugesprochen wurde. In den Kunstwerken von Konsortium hingegen ist sie von zentraler Bedeutung. Ein Trialog also, der weitere Stimmen zulässt.
Dr. Anne Vieth

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