Robert Seidel – Bifurcation Chamber

Bifurcation Chamber
Robert Seidels experimentelle Raumkunst zwischen Natur und Psychologie
von Andreas Rauth

Mit seinen abstrakten, farbintensiven Com-puteranimationen, die er für individuelle Raumsituationen entwickelt, schlägt Robert Seidel ein neues Kapitel gegenstandsloser Kunst auf; eine Strukturen und Körper transformierende Raumkunst, die sich vor dem Hintergrund dreier historischer Strömungen abhebt, denen sich der Künstler verbunden fühlt: Absoluter Film (Oskar Fischinger, Mary Ellen Bute), Kinetische Kunst (Laszlo Moholy-Nagy, Gego), Tachismus bzw. Informel (Carlfriedrich Claus, K. O. Götz). Mit dem absoluten Film verbindet ihn die Animation von Farbe und Form und dazu korrespondierender Musik. Mit der kinetischen Kunst die Bewegung, der Raumbezug, der Wahrnehmungsaspekt, das Lichtspiel und das Skulp-turale. Mit dem Tachismus die expressive Geste. Sein eigener, originärer Beitrag besteht darin, die Ansätze der Vorläufer aufzugreifen und mit den Möglichkeiten der 3D-Computeranimation das historische Repertoire zu erweitern, um eine zeitgenössische Version interventionistischer Raumkunst zu formulieren. Als Projektionsfläche dienen Fassaden und Landschaften, aber auch eigens hergestellte Skulpturderivate, deren Oberflächen zu netzartigen Strukturen ausgelegt werden.

Pinselstriche und Farbflecke stehen am Anfang eines Projekts und durchlaufen in der digitalen Bearbeitung eine Transformation zu komplexen und instabilen Formgebilden, denen der Künstler nach dem Vorbild von Naturprozessen wie Wachstum und Metamorphose ein Eigenleben verleiht. Dabei vermeidet er Geschlossenheit und Notwendigkeit, er zielt auf die Auflösung von Grenzen und Zuständen; der Zufall als nicht systematisierbare Größe wird, wo er sich zeigt, in das Verfahren integriert. Die digital generierten Strukturen verlieren nie ihren fragmentarischen und ephemeren Charakter, weder kristallisieren sie noch erreichen sie das Stadium vollständiger Entwicklung: sie verbleiben in einem Zustand permanenter Metamorphose. Das Prozesshafte ist aber erst mit der Berücksichtigung psychischer Vorgänge voll erfasst: Erlebnis, Erinnerung, Ausdruck stehen den Lebensprozessen gegenüber. Im Ergebnis lässt sich jedoch nur ein Ineinandergreifen und gegenseitiges Durchdringen von Natur und Psychologie feststellen. Dieses Verhältnis wird auf der materiellen Ebene gespiegelt; seine Filme decken sich nicht mit den Projektionsflächen, schmiegen sich nicht an die vorhandenen Formen, sondern überlagern diese, gehen darüber hinweg, verwischen ihre Gestalt und werden ihrerseits verformt. Es entsteht eine Durchmischung von Materialien und Formen, deren Instabilität eine ständige Adaption erfordert, wodurch die Wahrnehmung selbst zur eigentlichen Aufgabe für den Betrachter wird.

Textausschnitt

Daniela Deeg – 46 Selbstportraits

Vor 20 Jahren studiert Daniela Deeg als Stipendiatin des DAAD im Masterstudiengang Printmaking (Druckgrafik) und Bookarts (Buchkunst) an der University of Georgia. Dieser Studienaufenthalt ist für Ihre weitere künstlerische Arbeit in doppelter Hinsicht bedeutsam: Zum einen markiert er den Beginn der Freundschaft und künstlerischen Zusammenarbeit mit der US-Amerikanischen Buchkünstlerin Cynthia Lollis, mit der sie unter dem Label „ETC Press“ in den folgenden Jahren eine ganze Reihe von Künstlerbüchern gestaltet, druckt und veröffentlicht. Das Studium in USA ist darüber hinaus der Beginn ihrer Auseinandersetzung mit der Frage was uns zu dem macht, was wir sind. Eine Frage, die sich auch wie ein roter Faden durch die Arbeiten der Ausstellung zieht. Die gezeigten 46 Selbstportraits lassen sich grob in 3 Themenfelder unterteilen.

Bereich 1: „Was bleibt?“
Im Vorraum und im Eingangsbereich des Salons hängen eine Serie von Drucken, bei denen sich Ereignisse der Vergangenheit in der Silhouette der Künstlerin spiegeln.

Daran angeschlossen ist der 2. Bereich: „Mir fehlend die Worte.“
Die Zeichnungen auf Japanpapier, sind auf Basis von Deegs „visuellen Tagebüchern“ entstanden, einer Sammlung von Bildern, Mustern, Fotos, etc. Ein Teil der Zeichnungen zeigen einzelne Elemente („Tagebucheinträge“), die großformatigen Zeichnungen eine – um bei der Buch-Analogie zu bleiben – Episode.

„Eine längere Geschichte“ ist der Titel des 3. Bereichs, den Künstlerbüchern.
Während sich die Drucke und Zeichnungen mit einzelnen „Einträgen“ oder „Episoden“ beschäftigen, geben die Bücher Raum, um sich intensiver und im Detail mit einzelnen „Kapiteln“ auseinanderzusetzen. Zwei Bücher sind an dieser Stelle besonders hervorzuheben: Das erste Buch aus dem Jahr 2000 „The book of warnings“ und das jüngste Buch aus dem Jahr 2020 „Ein Schritt nach vorn und zwei zurück“.

Text, Rede: Matthias Kubitz