Sibel Horada

Sibel Horada beobachtet, erforscht und transformiert. Oft sind es die physischen und metaphorischen Stätten der Zerstörung, der Unterdrückung und des Vergessens, mit denen Sibel Horada Kontakt aufnimmt und die sie in neue, oft poetische, mal zarte, mal monunentale Formen der Existenz überführt. In Ludwigsburg empfängt die Künstlerin die Besucher mit der Arbeit Forest (2017). 38 Buchenstämme, schwarz und offensichtlich verkohlt, füllen den Raum. An einer dezenten Deckenkonstruktion hängend, scheinen sie beinahe zu schweben. Horada greift in dieser Arbeit eine japanische Technik zur Haltbarmachung von Holz auf. Das Feuer schützt das Holz gegen Fäule, aber auch das Feuer selbst. Die Künstlerin verortet ihr Werk in einer Zeit der Dunkelheit. Es ist eine Arbeit über die Einsamkeit jedoch ebenso über die Möglichkeit der Heilung und des kollektiven Widerstandes. Ein schwarz fließendes Klebemittel, das die zur Verbrennung zerlegten Bäume wieder zusammenfügt, wirkt wie eine dunkle Wundflüssigkeit. Im Dialog mit den Arbeiten Buket Savcis bekommt die fließende Masse jedoch auch eine erotische Konnotation.

Die Materialien Holz und Feuer tauchen bei Sibel Horada immer wieder auf. Für die Arbeit Impressions from the Beech Forest (2010) beispielsweise gruppierte Horada die Gipsabdrücke der Stämme einer Birkengruppe, die sie in einem Wald genommen hatte, ähnlich wie bei Forest, hängend im Raum. In der Ausstellungssituation wurden die Abdrücke plötzlich zu Zeichen für etwas, das abwesend war. Im selben Jahr entstand die Arbeit As If It Never Existed: im Galerieraum verteilte Horada Fragmente einer brutal zugerichteten Baumwurzel. Es waren die letzten physischen Spuren des Umsiedlungsprozesses der Istanbuler Yildiz Universität an den Stadtrand. Das verletzte Wurzelmaterial wurde zur Erinnerung an den unmerklich aus dem Herzen des gesellschaftlichen Alltags verschwundenen intellektuellen Diskurses, der an den Universitäten seinen Ort haben sollte. In den Firechronicles (2012-2013) tauchte erstmals das Feuer als künstlerisches Thema und Mittel auf. Die Fragmente eines in Istanbul abgebrannten Holzhauses wurden zum Ausgangspunkt einer prozesshaften Arbeit, die in das Thema des Verlustes auch die Möglichkeiten der Transformation aufnahm und in die unterschiedlichen Formen und Richtungen weiterspann.

Die Zerstörung, das Verschwinden und Versinken vergangener Gegenwart und die Suche danach ziehen sich durch das künstlerische Schaffen Horadas. Sie findet die Leerstellen dort, wo sie selbst ist. Es sind die abwesenden Bäume, die sie eben noch im Wald bei der Abnahme der Gipsabdrücke berührt hat, die Wurzelreste eines Baumes, der auf dem Gelände jener Universität gefällt wurde, an der sie selbst studiert hat, es sind die Fragmente eines in ihrer Heimatstadt abgebrannten Hauses. Horada stellt sich den Verlusten und Marginalisierungen, die sie umgeben und die sich permanent ereignen. Doch verharrt sie nicht im Blick in den Abgrund. Vielmehr offenbart sie immer wieder, oft unerwartet, das Potenzial der Kunst, das sich in ihrem Ringen um die Leerstellen freisetzt. Etwas gerät in Bewegung, Unerwartetes tritt zum Vorschein, Menschen kommen ins Gespräch.

Joseph Beuys verstand die Wärme als eine Energie, die in die Materie eindringt, aber auch immateriell bleibt. Indem sie frei zirkulieren kann, wird sie zum belebenden Element, sie wird zur Voraussetzung für alles Evolutionäre. Bei Horada ist es das Feuer, eine weitaus ungestümere Form der Wärme. Auch das Feuer ist im Moment der Zerstörung der Anfang von etwas Neuem. Es wird zu einer Kraft, die Transformationsprozesse initiiert. Eine poetische Form der Transformation sind die Metamorphosen bei Ovid, ein Text, der die Kunstgeschichte nachhaltig inspiriert hat. Bestand hat in den Metamorphosen Ovids einzig der permanente Wandel der Dinge und ihrer Zustände. Ovid eignete sich in seiner Dichtung alte Mythen an und verspann diese mit Bildern seiner eigenen Zeit. Diese Form der Aneignung, das Weiterspinnen von Gefundenem, erinnert an das Verfahren Horadas. Auch sie schafft Verbindungen zwischen Zeiten und Welten. Der Schmerz und die Banalität des Daseins bekommen durch das Spiel mit dem Gefundenen etwas Poetisches. Es entsteht etwas Neues.

Der erste Besuch der Künstlerin in Ludwigsburg wurde zum neugierigen Entdeckungsgang durch die Stadt. Beim Gang durch den skulpturalen Wald im Ausstellungsraum tauchen an den Wänden plötzlich Dinge und Objekte auf, die wie Spuren dieser Erkundung anmuten. Es gibt ornamentale Formen, die sich bei genauerem Hinsehen als mit künstlichem Haar gehäkelte Objekte entpuppen. Sie erinnern an traditionelle Häkeldeckchen. Im Kontext des Ortes Ludwigsburg könnten es aber auch Pläne für die Gestaltungen barocker Lustgärten sein, deren Formen hier nachhallen. Die Arbeiten heißen Plan I, II, III usw., aber auch Test I und Test II. Vielleicht ist das Haar der Häkeleien das Haar einer Mätresse? War es doch in der Geschichte Ludwigsburgs Herzog Eberhard Ludwig, der dort mit seiner Mätresse Wilhelmine von Grävenitz eine außereheliche Verbindung pflegte. An einer anderen Stelle im Raum stößt der Besucher auf rätselhafte Objekte. Diese waren für Horada materieller Ausgangspunkt einer assoziativen Recherche. Überlegungen über zufällig Gefundenes wurden im regen Austausch verschiedener Akteure entwickelt und weitergesponnen. Bilder wurden weitergegeben, transformiert oder mit neuen Mitteln wiederholt. Das Verfahren erinnert an die Prinzipien Carl Gustav Jungs, dessen Erkenntnisprozess eine endlose Bewegung zwischen Erinnerungen, Träumen und Gedanken ist.

Das Entdecken, das Gedankenspiel, die waghalsige Hypothese, die Freude über Unerwartetes: das sind die Zutaten für die Transformation der Dinge in neue, nur aus dem gegenwärtigen Handeln heraus geborene Aggregatzustände. Wo aber steckt dieses Potenzial in den, auf ihre absolute Essenz, die verkohlte Materie, reduzierten Stämmen der Arbeit Forest? Der Baum, über die Zeiten und Kulturen hinweg ein Symbol für den Kreislauf des Lebens, tritt bei Horada nicht als strotzendes Grün in den Raum, wohl aber als eine, in einem fragilen, niemals eindeutigen Grenzbereich zwischen Aschfahl und Anthazit schimmernde Existenz. Auch hier gibt es noch einen Spielraum für Verwandlung und den Wandel von Wahrnehmung. Es öffnet sich plötzlich ein Spalt, durch den Poesie in den Raum tritt. Die Transformation hört nicht auf.

Text: Julia Connert

Buket Savci

Die in Istanbul geborene türkischstämmige Künstlerin Buket Savci zeigt erstmals in Deutschland ihre Gemälde und Grafiken. Ihr Studium der Malerei führte die Künstlerin vor über acht Jahren aus der Türkei an den Sehnsuchtsort vieler Künstler: New York City, genauer Brooklyn, wo sie heute arbeitet. Ihre Werke wurden in der Türkei, in Spanien, Japan und oft in den USA bereits sehr erfolgreich ausgestellt, sie erhielt zahlreiche Preise und Stipendien. Für Künstler ist Amerika noch immer ein Land großartiger Möglichkeiten und New York zugleich Bühne der Erfolgreichen, wie dem Pop-Art-Erben Jeff Koons und seinem Galeriegiganten Larry Gagosian, sowie auch schier unüberschaubarer Pool für viele bemerkenswerte aufstrebende junge Künstler, die Freiheit und Bestätigung suchen.
Buket Savcis Gemälde wirken zunächst fotorealistisch, starke Anschnitte und die Schlagschatten vom Blitz weisen auf fotografische Vorlagen für ihre Kompositionen hin. Die Machart, Farbgestaltung und Gesamtwirkung ihrer Großformate führen aber direkt ins Zentrum der Malerei hinein. Ein zweiter Blick und ein genaueres Hinsehen wird notwendig: Kein Schatten ist grau, er wird wie jede Lichtreflexion der Haut auf der Palette als Farbe entwickelt und auf der Leinwand verdichtet. Buket Savci führt ihren Pinsel kontrolliert und sichtbar, aber nicht expressiv. Sie erfindet die Tiefe der Farben neu und reichert mit ihren fein nuancierten Abmischungen und überlagernden Schichtungen den vermeintlichen Schnappschuss mit der langen Zeit an, die ihre Arbeit kostet. Hier entsteht ein Spannungsverhältnis.

Ihr Sujet ist eine Verbindung aus Figuration und Interieur: Junge Menschen sind, allein oder paarweise, kompliziert sitzend oder liegend ins Bild gefügt, geradezu als Komposition ins Format hineingespannt. Auffällig sind die Verkürzungen und verdrehten Haltungen in eine räumliche Tiefe hinein, die schon die Maler des Barock und Manierismus fasziniert haben. Die Perspektiven sind variabel und ungewöhnlich, mal von oben herab, mal scheinbar aus der Sicht eines Menschen gesehen, dessen Körper zum Teil abgebildet ist, als sei der Betrachter unmittelbar dabei. Die Gesichter der Menschen sind häufig abgewandt, teilweise verdeckt oder nicht zu sehen, ihre Körper wirken makellos und natürlich schön. Ihre Identität interessiert nicht weiter. Das Inkarnat hat eine typische mit warmer Palette gefärbte sensitive Oberfläche, die viele farbliche Bezüge und Reflexionen zum räumlichen Umfeld zeigt und sich mehr am amerikanischen Maler Edward Hopper als am britischen Körper- und Fleischmaler Lucian Freud orientiert. Es ist zunehmend nackte Haut zu sehen, eine erotische Aufladung entsteht mitunter auch dort, wo nicht alles gezeigt wird. Ebenso wichtig sind all die anderen Stellen im Bild mit stofflich lustvoll ausgearbeiteter Kleidung, Faltenwurf und Textilien mit oft floralen Mustern. Auch hier entsteht Spannung zwischen Abstraktion und Gegenstand, orientalisch geprägter Ornamentik und poppigen Geschichten der Gegenwart.
Dabei teilt Buket Savci hier scheinbar ganz private Momente mit der Öffentlichkeit, denn die Bildvorlagen entstehen seriell in ihren Räumen, als Modelle arrangiert sie ihren Partner und sich selbst. Es sind keine wirklichen Selbstportraits, sondern beinahe allegorische Figuren, die Stimmungen von Gemeinsamkeit ausdrücken. Das installative Setting von Ballons, Süßigkeiten, Gummitieren und Stoff verweist auf eine vom Menschen künstlich gestaltete Welt. Die Künstlerin spricht in einem Statement von Situationen des kindlichen Glücks, dessen Flüchtigkeit sie durch die Manifestierung im Bild bannen möchte. Es wird nichts vorgeführt, sondern ein Augenblick der Intimität und der Ausgelassenheit, vielleicht des Glücks und der Freiheit für die Ewigkeit festgehalten. Es wird nur Innenleben und Emotion gezeigt, kein Fenster ist offen, selbst Vorhänge und Fensterläden sind geschlossen. Hier entsteht Spannung zwischen Offenheit und Geschlossenheit. Die Kunst bietet eine Membran zwischen der Künstlerin und uns Betrachtern, in die wir tief blicken können, ohne dass sie ins Vorgeführte oder Voyeuristische abdriften.

Die Intimität, die die Malerin mit uns Betrachtern teilt, trägt zugleich eine gesellschaftliche Dimension in sich. Das Private ist auch politisch. In vielen Staaten, leider auch in der Türkei, gibt es Entwicklungen gegen freie Meinungsäußerung und Religionsfreiheit. Damit einhergehend werden gerade Rechte von Frauen und Minderheiten in Frage gestellt. Ein neueres kleines Bild zeigt den entblößten Körper einer Frau, die ihre Hand in den Schritt führt. Die liegende Figur ist aber ins aufrechte Format gerückt, sie tritt selbstbewusst auf und hat alles unter Kontrolle. Der Titel gibt Aufschluss: „I´ll grab, you watch“. Er antwortet unverblümt auf die chauvinistische Einstellung des 45. US-Präsidenten und seiner Gesinnungskollegen, ohne sich selbst in eine Opferrolle zu begeben.
Buket bedeutet im Türkischen Blumenstrauß oder könnte auch den ätherischen Duft von Wein oder Parfum meinen, er umschreibt in metaphorischer Klarheit die sinnliche, dionysische Freude und Entspanntheit, die die Malerin mit ihren Bildern lebendig zu uns trägt.

Text: Wolfgang Neumann