Tomas Eller

Der Kunstverein Ludwigsburg zeigt die erste institutionelle Einzelausstellung in Süddeutschland des in Österreich bekannten und international ausstellenden Künstlers Tomas Eller (geboren 1975 in Meran, lebt in Wien). Der 41-jährige ist ein Ausnahmekünstler: Er interessiert sich für Naturwissenschaften und sucht die Auseinandersetzung mit Mathematikern, Physikern, Geologen oder Luft- und Raumfahrttechnikern. Deren Ergebnisse macht er für seine Kunst fruchtbar, um gleichsam Eigenheiten des Universums auf die Spur zu kommen. In diesem Bestreben steht Tomas Eller Künstlern und Universalgelehrten der Renaissance weitaus näher als den meisten gegenwärtigen Kunstschaffenden, welche häufig Alltagsphänomene oder Zwischenmenschliches erkunden. Es gibt eine weitere Gemeinsamkeit: Die Weiterentwicklung von Darstellungstechniken. Im Kunstverein Ludwigsburg sind Videos, Synchrotron-Radierungen – eine von Tomas Eller erfundene Fotogravur-Tiefdrucktechnik – und Skulpturen zu sehen, die in den vergangenen drei Jahren entstanden sind. Die Auswahl ist auf den wohl proportionierten Ausstellungsraum so abgestimmt, dass sie eine in sich geschlossene Raumkomposition bildet. „Hot is just a relative term“ nennt der Künstler die Ausstellung, für die er auch das Cover-Motiv entworfen hat. Er sagt: „Inhaltlich stellt dies eine Relation dar zwischen unserer gefühlten Temperatur und den großen Zusammenhängen, von heißen Zuständen / Magnetfeldern in unserem Erdinneren („Liquid Mountains“), und den Himmelskörpern („Trope“), in denen wir uns Recht unbedeutend und vielleicht sogar zufällig drehen.“

Die Ausstellung bezieht ihre Spannung aus der Gegenüberstellung von zwei Synchrotron-Radierungs-Serien, deren Bildquellen gegensätzlicher nicht sein könnten. Für die „Liquid Mountains“ (2014) drang Tomas Eller in mehrere Vulkankrater hinab und mittels Elektronenmikroskop-Kamera bis in die Tiefe der Materie vor. Die Serie basiert einerseits auf Naturaufnahmen, die den Begriff der Zeitlichkeit anhand der Schichtungen der Gesteinsablagerungen thematisieren, andererseits aus eigens angefertigten Elektronenmikroskop-Aufnahmen von Steinen aus dem Inneren der verschiedenen Vulkankrater. Für letztere Blätter wurde ein Quadratmillimeter der hochaufgelösten Aufnahmen 30.000 bis 50.000 Mal vergrößert. Die Serie „Trope“ (2016), eine Kooperation mit der National Aeronautics and Space Administration (NASA) und dem Deutschem Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), zeigt Ausschnitte aus Aufnahmen von allen Himmelskörpern, die bis jetzt aus nächster Nähe von Raumsonden, die dafür oft jahrzehntelang unterwegs sind, aufgenommen wurden. Zeigen die Mikro-Aufnahmen Einblicke ins Erdinnere, sind es bei den Makro-Aufnahmen Blicke an die entferntesten Stellen unseres Universums – beides Mal also so weit das Auge mit den heutigen technischen Hilfsmitteln reichen kann. Die einen Bilder stoßen auf unvorstellbar heiße und flüssige Materie, die anderen auf bis zu rund 60 Kilometer dicke Eisschichten von Planeten. Würde ein näherer Standpunkt gewählt, würde das Aufnahmegerät und damit unser Blick verglühen. Der Begriff „heiß“ wird angesichts der Extremtemperaturen und der gefährlichen Nähe natürlich relativiert beziehungsweise ist für weitere Interpretationen offen. Wer hat nicht als Kind jenes Ratespiel gespielt, bei dem der Spielende sich einem vom Gegenüber willkürlich benannten Gegenstand nähert und dieser den Grad der Nähe mit den Worten „Heiß, heißer, am heißesten“ oder mit „Kalt, kälter, am kältesten“ bezeichnet? Wohl wissen wir noch ob der Freude, wenn wir den gedachten Gegenstand erraten haben, um gleich darauf wieder ein neues Ratespiel zu beginnen. Dass es den Menschen immer weiter treibt, mag in seinem Wesen liegen. Tomas Eller kalkuliert mit der Neugier der Betrachter. Die Grafik-Serien sind bewußt nicht verglast, damit keine Spiegelungen störend sind bei der Erkundung der Gravur der Strukturen, der mit dem Auge nicht sichtbaren, hauchfeinen Vertiefungen auf den Papierblättern, der samtigen Oberflächen, die nur diese neue Tiefdrucktechnik derartig haptisch erlebbar machen kann. Sowohl in der äußersten Verkleinerung als auch in der größten Vergrößerung finden sich auf den Blättern der „Liquid Mountains“ beziehungsweise der „Trope“Serie einerseits fantastische Gebilde, andererseits vertraute Strukturen, welche Assoziationen an Naturphänomene wie Eis, Schaum, Gestein aufkommen lassen. Die mit der Synchrotron-Radiertechnik reproduzierten Fotovorlagen – obwohl manche vom Sujet her unscharf – erscheinen in beiden Serien in ihren Details sehr präzise. Das liegt daran, dass diese neue Drucktechnik einen Variantenreichtum an Grauabstufungen und damit dreidimensionaler Wirkung zulässt. Mikro und Makrokosmen werden damit haptisch und wie zum Greifen nahe. Das, was in den Tiefen der Erde oder in der Weite des Weltalls in Bewegung ist, wird fixiert. Beim Staunen ob und beim Entdecken der zahlreichen faszinierenden Strukturen können wir den blinden Fleck unserer Erkenntnis nur erahnen. Wie gefesselt sind wir vom jeweiligen Natureinblick, den ein einzelnes Blatt bietet und kontextualisiert und wissen dennoch, dass wir gerade den Horizont des menschlichen Blickkreises und damit Kenntnisstandes abtasten, welcher mit anderen technischen Möglichkeiten schon morgen hinfällig sein mag.

Den Mittelpunkt der Rauminszenierung im Kunstverein Ludwigsburg nimmt die an der Stirnwand platzierte Videoprojektion „Baryogen“

(2014) ein. Beim Eintreten erscheint sie wie ein verlockender Sog. In Zeitlupe ist die Sprengung eines acht Tonnen schweren dunklen Marmor-Kubus zu sehen: Aus der umschlossenen grobkristallinen Würfelform mit klar geschnittenen und polierten Flächen fliegen hunderte verschiedene Bruchstücke. Sogar deren kristalline Beschaffenheit ist durch die derzeit bestmögliche High-Defenition-Auflösung des Videos (kurz HD) manchmal zu erkennen. Das Volumen der harten Form bläßt sich langsam auf; ein sehr kurzer Moment (1,5 Sekunden) ist im Film auf fünf Minuten ausgedehnt. Die Slow-Motion schärft unsere Wahrnehmung und macht die gewaltige Sprengung zu einem atemberaubenden erhabenen lyrischen Erlebnis. Das Video ist ohne Ton. Der Werktitel spielt auf die Baryogenese, die Theorie zur dynamischen Entstehung der Baryonenasymmetrie an – also des Ungleichgewichts von Materie (Baronen) und Antimaterie (Antibaryonen) im Universum. Angesichts des Grundthemas der Ausstellung, einer nicht fassbaren Ferne und nicht vorstellbaren Zeitlichkeit, sind auch Endlichkeit und Relativität thematisiert. Raum, Zeit, Materie, Energie sind die Parameter unseres Weltalls. Tomas Eller thematisiert diese nicht nur in seiner Kunst, sondern mit der von ihm gewählten Herangehensweise erforscht er sie mit entsprechend ästhetischen Mitteln. Raum, Zeit, Materie, Energie sind so auch als Grundfaktoren seiner künstlerischen Gestaltung zu erkennen. Die Ausstellung „Hot is just a relative term“ mag in den Besuchern jene Begeisterung aber auch Ehrfurcht und Erschrecken wecken, die wir angesichts des Sternenhimmels mit existenziellen Fragen verknüpfen wie: Von wo kommen wir ? Wer sind wir ? Wohin gehen wir ?

Dr. Andrea Domesle, Kuratorin

Nina Joanna Bergold

Die Ludwigsburger Künstlerin Nina Joanna Bergold (*1980) arbeitet mit Cutter, Schere und schwarzer Folie. Ihre großformatigen Folienschnitte lassen noch die Verwandtschaft mit dem Hochdruck erkennen – Linien und Flächen sind je nach Blickrichtung Druckplatte und spiegelverkehrtes Resultat in einem. Andere Arbeiten werden zu raumgreifenden Installationen, bei denen Linie und Figur auseinanderstreben oder durch Verknotungen und Verdrehungen wieder ineinandergreifen. Zu erkennen sind Affenmenschen, Kauernde, Hängende, freie Linien, Flächen und Zwischenräume. Nina Joanna Bergold stellt sich und unserer Wahrnehmung einfache Fragen: Wo beginnt die Figur, Figur zu sein? Existieren Material und Figur gleichzeitig oder können wir immer nur eines von beidem wirklich erfassen?