Thomas Rothfuß, 1947 in Marbach geboren. Von 1969 bis 1974 Studium am Institut für Buchgestaltung der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bei Professor Walter Brudi. Danach freiberufliche Tätigkeit im Bereich Illustration und Grafik-Design im In- und Ausland. Lehraufträge an der Hochschule Pforzheim und an der Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen Stuttgart. 2005 Verleihung des Professorentitels.
Ludwigsburg, 4. Oktober 2018
Bevor ich Ihnen etwas zu Thomas Rothfuß und seiner Kunst erzähle, muss ich zweierlei bekennen:
1. Ich bin mit Thomas Rothfuß seit vielen Jahren befreundet, entsprechend vorsichtig sollten Sie meine Äußerungen werten.
2. Ich bin kein Kunsthistoriker. Und selbst wenn ich einer wäre, würde ich Ihnen das, was Sie in dieser Ausstellung sehen werden, nicht vollends erklären können. Was ich trotzdem versuchen werde ist: eine Annäherung an diesen Mann und sein Werk.
Zu 1.
Wir haben beide an derselben Schule, am selben Studiengang gelehrt. Aber in weit auseinander liegenden Disziplinen. Sein Fach war die Illustration. Ich habe am ganz anderen Ende der Gestaltungsdisziplinen, die Studierenden mit der rauen Wirklichkeit des Berufes Kommunikationsdesign konfrontiert: ich habe Werbung und Corporate Design unterrichtet. Begegnet sind wir uns beim Mittagessen. Das heißt bei meinen oftmaligen Versuchen, ihn von seinen Studierenden loszueisen. War nicht einfach. Jeden Mittag das gleiche Bild: Nur mit einer kleinen Schere, einem weißen und einem schwarzen Blatt Papier bewaffnet, demonstriert und erklärte er „Gestalten“. Ich will vorsichtig sein und nicht übertreiben: Er erklärt mit diesen bescheidenen Hilfsmitteln nahezu a l l e Gesetzmäßigkeiten des visuellen Designs.
Rundum ein für mich ungewohntes Bild: Rund 15 Studierende, ruhig, gebannt und hoch konzentriert über den Tisch gebeugt, von dieser kleinen Inszenierung gefangen. Das fasziniert mich außerordentlich. (Natürlich korrigiert er auch am Rechner, unterweist den Umgang mit Aquarell und Collage etc.) Ich setze mich dazu und ich lerne viel dabei. Und ich denke, was für ein kluger, gelehrter, was für ein bemerkenswerter Kollege, dieser Herr Rothfuß.
Das kommt nicht nur bei mir so an. Die Studierenden, gefragt, welche Unterweisung sie an dieser Hochschule am nachhaltigsten beeinflusst hätte, sagen in aller Regel: Illustration bei Thomas Rohfuß. Tja, so kamen wir zusammen. Besuchten uns. Besuchten sehr viele Ausstellungen und redeten ohne Unterlass über alle Themen dieser Welt. Ich immer der aufmerksame und profitierende Eleve. Wir redeten über alles – nur nicht über das, was ihn täglich zuhause, im Atelier, in aller Verborgenheit, intensiv beschäftigte. Erst vor wenigen Jahren bekannte er mir, dass er male.
Nach einigem Drängen zeigte er mir seine Kunst. Ich, ganz der Werber, frage: Warum zeigst Du das niemand? Du musst raus damit, damit die Leute sehen, was Du erfindest. Seine Antwort: „Ich brauche das nicht.“ Und: „Ich bin noch nicht so weit.“ Nach all den Jahren intensiver Auseinandersetzung mit der Malerei und einem inzwischen stark angewachsenen Oeuvre sagt er: „Ich bin noch nicht so weit.“ Ich kenne ja inzwischen seine unglaublich hohen Ansprüche, ich schätze auch diese Art nicht aufzuhören, das Gute noch besser zu machen, doch fortan liege ich ihm und liegt Freund Uwe Lohrer ihm in den Ohren: „Stell endlich aus!“.
Und damit zu 2, also zur Kunst.
Ich, der Nichtmalende, frage mich immer: Was bringt einen Maler (oder Malerin) zu seiner Sicht, zu seiner Technik, zu seinen Motiv-Welten? Warum malt einer Birkhühner auf Lichtung, warum den weiten Ozean, warum Linien, Kuben und Kreise, warum Damen im Bade oder Kinder auf Wiese? Warum arbeitet einer nach der Natur, warum abstrakt oder warum beschreibt er nur, was er sehen lassen will? Auf diese Warum-Frage gibt es im Falle Rohfuß w omö g l i c h eine Antwort. Vor Jahren steht Thomas Rothfuß im Rahmen seiner unzähligen Kunstexkursionen im Grand Palais in Paris um „L âme au corps“ („Die Seele im Körper“) zu sehen. Nicht grundlos zieht es ihn dorthin. Dort scheint etwas zu Sprache oder Bild gebracht, was ihn mehr als alles andere interessiert: „das Drinnen“ das „unter der Oberfläche“, das „nicht Zugängliche“: Das „Geheimnis, das allem zugrunde liegt“. Ein Exponat, ein lebensgroßes, anatomisches Unterrichtsmodell der Medizin hat ihn beeindruckt. Das Menschenmodell ist vertikal, in der Mitte durchgeschnitten. In einem der beiden Teile, das worum es geht, sehr anschaulich alle Organe und Innereien. Dem anderen Teil des Modells, einem Teil mit fein modellierter Haut-Oberfläche, rinnt eine Träne aus dem Auge. Man darf annehmen, dass diese Träne nicht Teil des Modellierauftrags war, sondern der heimlich, aber absichtsvoll zugefügte Kommentar des Modelleure. Diese Träne ist für Thomas eine spontane, unverstellte, archetypische Reaktion; ist der Hinweis zu dem, was in dem Exponat nicht zu sehen ist; ist der Zugang zur menschlichen Psyche, zur Seele.
Dieser wunderbare Hinweis des Modelleurs an die medizinische Lehre berührt und beeindruckt unseren Thomas außerordentlich. Ähnlich poetische Äußerungen werden Sie in seinen Bild-Tafeln finden. Thomas hat Fragen. Beim Malen sucht er vielfältige Annäherungen an ein Thema. Er sucht die angebotenen Wahrheiten zu deuten. Und lernt dabei. Er sucht neue Erkenntnisse zu finden, wohl wissend, dass sie nicht verlässlich sein werden. Er weiß: „Das einzig Verlässliche auf dem Lebensweg ist die Vergänglichkeit.“ Ernüchternd? Für Thomas Rothfuß nicht. Was er auf seiner Reise in die Geheimnisse für sich nicht lüften konnte, ist groß, aber die nebenbei gemachten Entdeckungen erfüllen ihn. Sein Denken, seine Wege lässt er uns auf Bildtafeln finden, deren Themenkreise Räume, Wandlungen und Vergänglichkeit sind.
Seine Gedanken bringt er zunächst auf Papier. Zur Vorbereitung skizziert er am Tisch. Gemalt wird am Boden. Hockend, kniend, das Bild umkreisend. Beim Malprozess herrscht tiefe Stille. Zum Geplanten wird Erahntes gefügt. Das scheinbar zufällig Gefundene wird absichtsvoll hinzugesetzt.
Ist er mit dem Ergebnis einverstanden, kommt es in seiner Bilderkammer zu den anderen. Erst vor gut einem Jahr hat er beschlossen, der Öffentlichkeit, den Interessierten, seine Malerei vorzustellen. Hier in Ludwigsburg, seiner Stadt. Sie sehen auf den ausgewählten Bildtafeln die angesprochenen Themenkreise. Es sind geheimnisvolle, schwer deutbare und kunsthistorisch nicht leicht zuzuordnende Figurinen. Es sind Findlinge, die Sie bisher noch nie sahen. Geheimnisvolle Motive, für die wir keine Namen haben. Und die uns irritieren dürfen. Wenn Sie näher treten, was Sie sollten, wird das Rätsel nicht einfacher, es wird immer komplexer. Die Motive setzen sich fort, sie öffnen neue Räume und neue Zusammenhänge. Alle Tableaus arbeiten mit einer Vielzahl von teils verdeckten, teils freigelegten Farbschichten, die immer wieder mit neuen Farben belegt sind. Sie werden auch sehen; allen Bildern gemeinsam ist ein Ausgangspunkt: die tiefe Verneigung vor der Natur. Mit weit offenen Augen begegnet Thomas Rohfuß diesem großartigen Kosmos. Es sind hochachtungsvolle Begegnungen voller Staunen. Die Vielfalt an Formen, Farben und Strukturen, der Prozess des Aufkeimens, von Wachsen und Aufblühen, von Früchte tragen und von ihrem Vergehen nehmen ihn Zeit seines Lebens gefangen. Dieser Kosmos ist eigentlich alles, was er braucht. Er beherrscht sein Denken und gibt seinen Figuren Inhalt und Form. Natürlich sind alle Bildtafeln auch Meisterwerke genialer Komposition und Farbigkeit, beherrschter Struktur und Zeichnung. Er kann gar nicht anders, er ist zweifelsfrei eine Künstlerpersönlichkeit von hohem Rang.
Genug der Vor-Worte. Ich wünsche Ihnen bei der Begegnung mit den „Inwelten“ von Thomas Rothfuß volle Aufmerksamkeit. Und der Ausstellung den verdienten Erfolg.
Hajo Sommer